Die Natur - ein Spaziergang im Wald oder Gartenarbeit - ist für mich ein ganz wichtiges Element um mich zu regenerieren. Sie hilft mir immer wieder zu meiner Mitte zurückzufinden.
Was hilft Dir in Deine Mitte zurückzufinden?
Und was bringt Dich überhaupt aus Deiner Mitte heraus?
Wenn ich die Situationen, die mich je gestresst haben Revue passieren lasse und ihnen auf den Grund gehe, so ging es oft gar nicht so sehr um die Sache an sich, sondern viel mehr um die beteiligten Menschen.
Um die (vermuteten) Erwartungen von Vorgesetzten, Kollegen, Partner, Freunden, Familie oder später auch Gruppenteilnehmern.
Es ging um die Angst jemanden zu enttäuschen, zu verärgern, vor den Kopf zu stoßen oder gar zu verletzten.
Oft hab ich dann nicht ganz das getan, was mir selbst gut getan hätte, sondern eher das, was mir für diese Beziehungsebene am sichersten erschien. Ich konnte daher nur mit größeren Schwierigkeiten Nein sagen und Grenzen setzen und überlegte mir deshalb gelegentlich sogar Ausreden für Dinge, die ich nicht machen wollte (z.b. für Geburtstagspartys) und legte zudem bei anstehenden Aufgaben einen ausgeprägten Perfektionismus an den Tag, der mich - so hoffte ich - unangreifbar machte.
Fleißige Studentin, tolle Partnerin, hilfsbereite Freundin - immer überall auf der sicheren Seite. Letztendlich war meine Strategie darauf ausgelegt mögliche Konflikte, Ärger und Ablehnung zu vermeiden, denn das wäre für mich wie ein Todesurteil gewesen, da ich selbst zu wenig innere Stabilität hatte um zu mir und meinen Bedürfnissen zu stehen und mich selbst auch dann OK zu finden, wenn andere mich als unhöflich, faul, arrogant, desinteressiert, langweilig, dumm oder egoistisch beurteilt hätten.
Um die wohlwollende Haltung meiner Mitmenschen sicherzustellen, musste ich mich und meine Interessen selbst oft ein stückweit verlassen. Es schienen nur ganz klitzekleine Abweichungen zu sein. Nichts Großes. Etwas das man leicht herunterspielen kann. Aber auch nur ein bisschen neben der Spur zu sein ist eben doch was ganz anderes als in seiner Mitte zu ruhen und führt letztendlich dazu, dass sich das Zusammensein mit anderen Menschen mit der Zeit anstrengend anfühlt.
Das alles läuft natürlich meist ziemlich unbewusst ab.
Mitbekommen hab ich aber die Entspannung, die ich dann im Alleinsein empfand. Dann konnte ich ganz ich selbst sein und meine ständig nach außen gerichteten Antennen endlich mal nach innen wenden und mich selbst spüren.
Aber warum ist uns das Wohlwollen anderer Menschen eigentlich so wichtig? Und warum haben wir soviel Angst vor Ablehnung?
Natürlich gibt es dabei ganz viele Aspekte, aber eine wesentliche Prägung liegt - wie immer ;) - in der Kindheit. Zu dieser Zeit ist es nämlich Überlebens wichtig, dass die Beziehung zu den Eltern bestehen bleibt. Ablehnung der Eltern erzeugt Angst - mehr Angst als die Psyche eines Kindes verarbeiten kann. Und das ist aufgrund der vollkommenen Abhängigkeit in diesem Lebensabschnitt ja auch ziemlich einleuchtend. Im Zweifelsfall verleugnet und vergisst das Kind, was es eigentlich braucht um die Beziehung zu den Eltern zu schützen. Wenn der Zwiespalt zwischen den eigenen Bedürfnissen und dem, was die Eltern erwarten, zu groß wird, spaltet das Kind diese “gefährlichen oder schlechten Teile” von sich komplett ab, D.h. es spürt diese konflikthaften Bedürfnisse und Wünschen nicht mehr. Es verzichtet auf einen Teil seiner Lebendigkeit und vermeidet so das Risiko, die Eltern zu verlieren, und auch den permanenten Schmerz (bzw. die Wut) zu fühlen, den diese unerfüllten Bedürfnisse mit sich bringen. Im Extremfall führt das zu Erwachsenen, die sich selbst und ihre Bedürfnisse gar nicht spüren und somit keinerlei inneren Kompass für ihr Leben haben. Denn das sind unsere Gefühle letztendlich: ein Kompass, denn sie zeigen uns ob unsere Bedürfnisse nach Sicherheit, Autonomie, Liebe, Wertschätzung und Verständnis erfüllt sind oder nicht. Wut zeigt vielleicht eine Grenzüberschreitung an und Schmerz, das etwas fehlt. Wenn wir auf unsere Gefühle hören und für unsere zentralen Bedürfnisse dann entsprechend sorgen, dann ergeben sich daraus Schritte und es entwickelt sich unser Lebensweg - von innen her.
Wenn wir uns aber der unbewussten Strategien, die uns in der Kindheit vor dem kompletten inneren Chaos gerettet haben, nicht bewusst werden, behalten wir diese zeitlebens bei - und übertragen sie auf alle Menschen, die uns näher kommen. Ganz vorne an natürlich unser Partner/unsere Partnerin. D.h. wir priorisieren auch hier die Beziehung vor unseren eigenen Bedürfnissen und haben Schwierigkeiten uns selbst ganz zu spüren auszudrücken.
Darüber hinaus sind wir auch noch geprägt von unsere kollektiven Vergangenheit. Dort war es quasi zu allen Zeiten lebensgefährlich, wenn einen die anderen “nicht mochten”. Als die Menschen noch in Stämmen organisiert waren, war die Zugehörigkeit zu einem Stamm eine Lebensversicherung. Und im Mittelaltert war es beispielsweise möglich, dass unbeliebte Nachbarn für Missernten verantwortlich gemacht wurden und auf dem Scheiterhaufen landeten.
All diese Erfahrungen stecken in unserem evolutionären Gepäck und führen zu einem Verhalten von falscher Freundlichkeit, Anpassung und unauthentischen Beziehungen.
Sie bewirken, dass wir im Zusammensein mit anderen Menschen nicht ganz wir selbst sein können, nicht ganz entspannen können und es irgendwann als anstrengend empfinden.
Was im weiteren dazu führen kann, dass wir Schwierigkeiten haben eine Partnerschaft einzugehen oder in dieser immer wieder die Distanz suchen. Oder dass wir vor Vorträgen, Präsentationen oder Gruppen sehr angespannt sind oder uns extrem perfektionistisch darauf vorbereiten. Oder dass wir einfach sehr oft Rückzugsräume zum Regenerieren brauchen. Oder dass wir den Zugang zu unseren eigenen Bedürfnissen mehr oder weniger komplett verloren haben und immer wieder nach Orientierung im Außen suchen müssen anstatt zu spüren wo es lang geht.
Aber wie können wir unseren inneren Kompass wieder aktivieren?
Drei wesentliche Eckpunkte um unser inneres Navigationssystem wieder funktionsfähig zu machen sind meines Erachtens:
1) das Bewusstwerden über die inneren Dynamiken (was geht in mir vor? warum verhalte ich mich so wie ich mich verhalte? Was vermeide ich und warum?), 2) die Rückverbindung mit den ursprünglichen Gefühlen und Bedürfnissen (was brauche ich wirklich?) sowie 3) die Erweiterung der inneren Kapazität, so dass auch intensive Gefühle - wie Angst - beinhalten werden können ohne gleich in Kompensations- und Vermeidungsstrategien zurückzuverfallen.
Denn nur wenn wir bereit sind alles zu fühlen, was auf unserem Weg liegt, sind wir frei dahinzugehen, wo es unser Herz wirklich hinzieht. Wenn wir hingegen ständig bemüht sind den Kontakt mit Angst und Schmerz aus unserem Leben fernzuhalten und zu vermeiden, müssen wir uns mit dem eingeschränkten Weg begnügen, der dann noch übrig bleibt, und können auch keine wirkliche (entspannte) Nähe mit anderen Menschen erleben.
Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass es sich lohnt diesen Mut aufzubringen und sich selbst und das Leben tiefer zu erforschen (liebevoll und im eigenen Tempo). Ich glaube inzwischen sogar, darin besteht unsere wahrhaftige Lebensaufgabe.